Freiflugmodell Passat 57

Dr. Wolfgang Schober

Im Jahre 1957 hat die Firma Graupner ein Freiflugmodell der Klasse A-2 auf den Markt gebracht. Es war als reinrassiges Wettbewerbsmodell konzipiert und hatte eine Spannweite von knapp 1,9 Metern bei einem Gewicht von 440 Gramm. Als Besonderheit wurde damals Balsaholz für den Aufbau verwendet, was als Innovation zu dem davor üblichen Werkstoff Sperrholz galt.

Der geschätzte Leser wird sich nun  sicher fragen, warum ein Antikmodell heute gebaut und geflogen wird, wo es doch so perfekte RES Modelle gibt. Da kann ich nur antworten:

Es war einmal …….

ein Vater mit seinen beiden Söhnen (10 und 12 Jahre) die noch ohne Fernsehen, Handy, Tablet und Computer ihr Leben fristen mussten. Dafür gab es aber Zeit, die der verantwortungsbewusste Vater mit seinen Kindern bei Modelleisenbahn und Modellbau verbrachte. 1962 kaufte er seinen Söhnen die Werkstoffpackung des Passat 57, denn den ersten Wurfgleitern und kleineren Freiflugmodellen waren sie schon entwachsen. Das war aber kein Baukasten im heutigen Sinn, denn die Balsabrettchen waren lediglich mit den diversen Rippen und Spanten bedruckt und man musste alles erst mühsam aussägen. Wenigstens waren die Kieferleisten enthalten, aber auch die mussten erst geschäftet werden. Aus heutiger Sicht kann ich sagen, dass der Passat ein sehr aufwändiges Modell war. Dass wir überhaupt damit fertig wurden, grenzt für mich an ein Wunder. Allein die Papierbespannung der hohlen Tragflügel war eine große Herausforderung und dauerte mit den Spannlackanstrichen eine gefühlte Ewigkeit. Aber irgendwann war der Passat fertig und die ersten Wurfstarts erfolgten. Das lautlose und ewige Dahingleiten faszinierte uns dermaßen, dass  wir uns eine Nylonschnur für den Hochstart kauften. Mit mehr Ausgangshöhe wollten wir den Fluggenuss weiter steigern. Doch herrje, der Hochstart war eine eigene Wissenschaft, der wir nicht gewachsen waren. Wir rannten mit der Leine einfach los, ohne die Schleppgeschwindigkeit auf die Fluglage des Modells anzupassen. Und so kam es wie es kommen musste. Unser Passat krachte mehrmals zu Boden, bis dann beim x-ten Versuch nur mehr ein Trümmerhaufen übrig war. Aus war der Traum ….. aber die beiden Brüder bauten und flogen weiter und sind bis heute dem Modellflug treu geblieben.

63 Jahre später sollte zum 75. Geburtstag des älteren der beiden Brüder wieder ein Passat 57 das Licht der Welt erblicken! Bei Modellbau Kirchert gibt es einen Laserbausatz zu kaufen, der schnell in meine Hände geriet. Und welch ein Fortschritt.

Die Rippen, Spanten und Rumpfseitenwände fielen nur so aus den Balsabrettchen und auch die wenigen Sperrholzteile waren perfekt gelasert. Nicht nur das Aussehen der Replica des Passat 57 wurde vom Original übernommen, sondern auch der Aufbau und das Flügelprofil. Dieses ist extrem stark gewölbt und hat drei über die Profiltiefe verstreute Kieferleisten als tragende „Gurte“.

Ja, so war das damals, als man von Kohlefaserrohren noch nicht einmal träumen konnte. Heute würde das sicher anders aussehen. Der Tragflügel ist in offener Rippenbauweise aufgebaut, d.h., eine Beplankung sucht man vergebens.  Fundierte Modellbauer unter den geschätzten Lesern werden sich nun sicher Gedanken über die Torsionsfestigkeit der Tragflächen machen. Diese ist eigentlich nicht vorhanden und wurde damals in geringem Maß durch die folgende Papierbespannung erreicht. Ich habe mir den Gestank und die Mühen nicht angetan und habe den Tragflügel mit Oracover light bespannt. Das gefällt mir wesentlich besser und ergibt eine leidliche Torsionsfestigkeit. Die Biegesteifigkeit der Tragflächen wird ausschließlich durch die drei Kieferleisten, Nasen- und Endleiste gewährleistet – ebenfalls eher bescheiden.

Das Höhenleitwerk wurde entgegen der original Freiflugversion als Pendelleitwerk ausgelegt und besitzt ebenfalls ein Hohlprofil. Alle Flächen sollen bei diesem Modell eben Auftrieb erzeugen. Am Modell habe ich noch eine Änderung vorgenommen, die dann weitere Folgen nach sich zogen.

Durch den 3-eckigen Querschnitt des Rumpfes bringt man Mini-Fernsteuerkomponenten nur mit Bauchweh unter. Anstatt nun Micro-Komponenten zu beschaffen, habe ich dem Rumpf an der höchsten Stelle um 2 cm mehr gegönnt. Jetzt war genügend Platz vorhanden, aber mir erschien nun das nur an der Rumpfunterseite angebrachte Seitenruder zu klein. Ich habe deshalb das Seitenruder um das Rumpfende herum bis über das Höhenruder hochgezogen und habe nun genug Seitenfläche hinter dem Schwerpunkt.

Auf einen ausführlichen Baubericht möchte ich verzichten, sondern lieber die Baustufenfotos sprechen lassen!

Selbstverständlich bin ich dem Trend der Zeit gefolgt und habe das Modell an der Rumpfspitze mit einem Slowflyer Elektroantrieb mit Klappluftschraube ausgestattet. Ein 2s LiPo-Akku mit 450mAh versorgt den Antrieb und die Fernsteueranlage mit der nötigen Energie.   

In abgewandelter Form gilt immer noch die griechische Weisheit: „Vor das Vergnügen haben die Götter den Schweiß gesetzt“!

Der Schweiß ist schon beim Bau geronnen, nun erfolgt das Vergnügen, der Erstflug. Mein Abfluggewicht beträgt 460 Gramm, das sind 20 Gramm mehr als die seinerzeitige Freiflugversion. Der Schwerpunkt wurde in 70% der Flügeltiefe angegeben und als „alter Hase“ schien mir das zu weit hinten. Ich führte deshalb den Erstflug über hohem Gras durch und diese Entscheidung war richtig, denn der Passat war hoffnungslos schwanzlastig. Nach Korrektur der EWD und Vorverlegen des Schwerpunktes auf 55 % war alles in Butter. Der Passat fliegt, so wie er fliegen muss! Langsam und bedächtig zieht er seine Kreise, ein echter Genuss beim Zusehen. Die Motorisierung ist ausreichend und schnell erreicht man Flughöhen, von denen wir seinerzeit nur geträumt haben. Allerdings ein Modell für Wind ist er sicher nicht! Da lasse ich ihn lieber gut geschützt im Kofferraum meines Autos. Einmal habe ich diesen Vorsatz nicht befolgt und schon bin ich in einer Baumkrone am Flugplatzrand gelandet. Wie seinerzeit eben …